Spekulationen zum Zugunglück

Ich hab ja nun bereits zwei Beiträge zum Zugunglück in Hordorf geschrieben und wie man am letzten Artikel erkennen konnte, betrachte ich die Arbeit der Journalisten recht kritisch. Mit diesem Beitrag möchte ich zum einen ein paar seltsame Bemerkungen in diversen Zeitungen auseinandernehmen, zum anderen aber auch mal zu den Spekulationen um die (Mit-)Schuld des Lokführers des Güterzuges etwas sagen. Hinweisen möchte ich vorab noch darauf, daß ich zu keiner Zeit am Unfallort war, alle mir vorliegenden Informationen aus frei zugänglichen Medien stammen.

Ein Punkt auf den alle wieder rumreiten ist die Aussage, daß die Strecke in diesem Bereich nicht über eine PZB (Punktförmige Zugbeeinflussung) verfügte. Man könnte glatt meinen dieser Magnet könne Wunder bewirken. Der Güterzug, der angeblich ein HALT zeigendes Hauptsignal überfuhr, hatte laut Medieninformationen zum Zeitpunkt des Unfalls eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h und ein Zuggewicht von ca. 2.700 to. Nach den vorliegenden Fotos kam das Zugende des Güterzuges knapp 100 Meter hinter der Weiche zum stehen, die das Ausweichgleis mit dem Hauptgleis verbindet.

Bei einem Güterzug mit der o.g. Geschwindigkeit und Last hätte die PZB zwar eine Notbremsung ausgelöst, der Zug wäre aber dennoch nicht sofort zum stehen gekommen. Er wäre somit dennoch über die Weiche auf das Hauptgleis gerutscht. Da der Unfall ja direkt in der unmittelbaren Nähe des Bahnhofs passierte, wäre dadurch der Unfall nicht verhindert worden, da der HEX ja auch bereits recht nah am Bahnhof war als der Unfall passierte. Lediglich die Geschwindigkeit des Güterzuges wäre geringer gewesen, inwieweit dadurch vielleicht einige Menschen weniger verletzt/getötet worden wären, vermag ich nicht zu sagen. Doch vermieden worden wäre der Unfall nicht.

Immer wieder wird auch die Frage gestellt, ob sich der Lokführer des Güterzuges zum Zeitpunkt des Unfalls auf der vorderen Lok befand. Spekulationen der Lokführer könne die erste Lok verlassen haben als er den herannahenden Triebzug sage, halte ich für sehr phantasiereich. Verweisen möchte ich da auf ein Foto der vorderen Lok des Güterzuges, die zweite Lok war vom gleichen Typ.

Wir rekapitulieren: Der Güterzug ist mit ca. 80 km/h unterwegs. Der Lokführer sieht plötzlich den Triebzug aus dem Nebel auftauchen. Er springt auf, öffnet die Tür des Führerstandes, rennt am Geländer entlang, steigt zwei Stufen hinab, versucht sich am Geländer der zweiten Lok festzuhalten, steigt rüber, klettert die zwei Stufen hoch, rennt den Gang entlang, öffnet die Tür des Führerstandes und betritt diesen. Für all das hat er aber nur wenige Sekunden Zeit und das bei der o.g. Geschwindigkeit. Ich hab früher solche ähnlichen „Späße“ auch mal gemacht, aber bei viel geringeren Geschwindigkeiten (10-15 km/h) und selbst da muß man schon sehr vorsichtig sein.

Zudem sind alle Loks mit einer sogenannten Sifa (Sicherheitsfahrschaltung) ausgestattet. Diese muß der Lokführer in unregelmäßigen Abständen betätigen. Tut er das nicht wird zuerst ein Warnsignal ausgelöst, danach eine automatische Vollbremsung des Zuges aktiviert. Ich denke die hätte hier auch angeschlagen, denn während des Lokwechsels hätte der Lokführer die nicht betätigen können.

Auch hier bitte wieder Geschwindigkeit des Zuges, Last des Zuges und Bremsweg beachten.

Ich denke, diese Spekulation kann man ausschließen.

„Interessant“ finde ich auch mal wieder einige Titulierungen, die so mancher Verfechter des „Qualitätsjournalismus“ so verbreitet. Neben dem bereits näher erläuterten Begriff „Zugführer„, möchte ich hier mal noch einen Artikel rauspicken, der einige seltsame Begrifflichkeiten verwendet.

Der blaue Kasten, bei dem es sich um einen Motor des Güterzuges handelt, ist völlig verbeult.

Güterzüge haben keine Motoren. Güterzüge werden von Lokomotiven gezogen die, je nach Antriebsart, Motoren besitzen können, aber Güterzüge haben selbst keine Motoren.

Pünktlich um 21.37 Uhr war der Triebwagen mit zwei Waggons in Magdeburg losgefahren.

Ja, der Triebwagen war pünktlich losgefahren, er hatte jedoch keine zwei Waggons dabei. Der Triebwagen war selbst ein zweiteiliger Dieseltriebwagen Typ LINT, d.h. ein aus zwei Teilen bestehendes Eisenbahnfahrzeug die fest miteinander verbunden waren. Einzelne Waggons waren nicht dabei.

Solche und ähnliche Schoten liest man glaube in fast jedem Artikel und ich find es schade, daß die Journalisten da nicht ordentlicher recherchieren. Es täte dem Anspruch an „Qualitätsjournalismus“ sicherlich gut.

Soweit von mir noch einmal ein paar Worte zum Thema. Fazit: nicht alles glauben was da so durch die Medien geistert, sondern bei einigen Dingen ruhig selbst mal bissel nachgrübeln. Wie es wirklich passiert ist, kann wohl nur der Lokführer des Güterzuges noch sagen, ob er das tun wird bleibt abzuwarten.

  1. Es ist für nicht-Insider scheinbar immer wieder schwierig, sich in die Eisenbahnterminlogie einzufinden. Magst Du da nicht mal ein Glossar speziell für die Herrschaften derschreibenden Zunft bauen? Ich kenne da einige Twitterer, die da reichlich beitragen könnten… 😉

    • Die Idee ist wirklich nicht schlecht. Müßte ich mal drüber nachdenken, dürfte ja (leider) nicht der letzte Eisenbahnunfall gewesen sein.

  2. detailgetreu

    Zum blauen Kasten:
    Wikipedia schreibt zum Thema Zug das Gleiche, was ich auch darunter verstanden hätte:
    „Mit dem Begriff Zug wird im Bereich der Eisen- oder Straßenbahn allgemein eine Einheit aus einem oder mehreren Triebfahrzeugen und meist einem oder mehreren miteinander gekuppelten Reisezugwagen, Güterwagen oder Beiwagen bezeichnet. Auch ein einzelner oder mehrere gekuppelte Triebwagen bzw. Triebzüge werden als Zug bezeichnet.“
    Also besteht ein (Güter-)Zug nicht nur aus den Waggons, sonndern auch aus dem Triebwagen und der hat ja nunmal den blauen Motor, oder nicht? Klär mich bitte auf 🙂

    Ansonsten ist das aber mit Sicherheit auch der unwichtigste Aspekt an dem Ganzen. 😉

    • Ein Güterzug besteht aus Güterwagen und einem Triebfahrzeug (Lokomotive). Aber der gesamte Zug hat natürlich keinen Motor, sondern nur die Lokomotive.

  3. Ditmar Pauke

    Die Zwangsbremsung auf eine Geschwindigkeit, die einen Halt am Hauptsignal, das allerdings wirklich sehr dicht vor der Weiche steht, erwarten läßt, hätte beim Vorhandensein einer PZB allerdings schon am Vorsignal eingesetzt. Der Abstand zwischen Vor- und Hauptsignal beträgt an dieser Stelle ziemlich genau 1000 m (VS am km 44,0, HS am km 43,0). Der Gz kam nach dem Aufprall nach etwa 500 m zum Stehen, also hätte eine PZB den Unfall wahrscheinlich doch verhindert.

    Ditmar

  4. detailgetreu

    Nunja, wenn die Lokomotive einen Motor hat und der Zug eine Lokomotive, dann hat der Zug automatisch auch einen Motor. Ansonsten würde der Zug ja auch nicht angetrieben werden, wenn er keinen Antrieb hätte.

    Zu der automatischen bremsung kann ich zumindest keine Fachmeinung abgeben, da ich mich mit Eisenbahnen praktisch nicht auskenne, aber rein logisch gedacht würde ich hier davon ausgehen, dass beim Einbau einer automatischen Bremsanlage die Signale verlegt werden oder anderweitig eine entsprechende Distanz zur Weiche hergestellt wird. Ansonsten würde ja das gesamte Prinzip keinen Sinn machen. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass die Signale verlegt werden würden, da diese automatische Bremsung ja ab Geschwindigkeiten von 100km/h vorgeschrieben ist und sich bei größeren Geschwindigkeiten der Bremsweg nochmals verlängern würde.

    Zur Sifa: Wenn der Lokführer von Beginn an auf der zweiten Lok unterwegs war und nicht zwischendurch rübergesprintet ist, wie konnte er dann die Sifa in der ersten Lok betätigen?
    Dass er bei der durch den Nebel eingeschränkten Wahrnehmungszeit und diesen Geschwindigkeiten noch Zeit hatte, auf die andere Lok zu klettern erscheint mir auf jeden Fall auch mehr als suspekt.

    • @detailgetreu: Naja, das mit dem Motor sehe ich anders, aber möchte ich jetzt nicht ellenlang ausdiskutieren.

      @Ditmar: Zum Thema Vorsignal hatte ich nichts geschrieben, da ich keine Kenntnis über die signaltechnische Ausstattung besaß. Wäre ja rein theoretisch auch Vorsignl mit verkürztem Bremsweg möglich gewesen. Denke hier an der Stelle macht sich das Fehlen einer Schutzweiche bemerkbar.

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