S21 gut oder schlecht?

Gestern fand die zweite Schlichtungsrunde zum geplanten Großbauprojekt „Stuttgart 21“ statt, kurz auch als S21 bezeichnet. Ich selbst habe mir wieder die Schlichtung zu großen Teilen über den Phoenix Livestream mit angeschaut und bin dabei mir mein eigenes Urteil zu bilden. Dabei bin ich etwas gespalten. Als Eisenbahnfan von Kindesbeienn an, mag ich natürlich alte ehrwürdige Bahnhofsgebäude mehr wie sterile Tunnelbahnhöfe. Doch auch ich weiß, daß Eisenbahnen nicht gebaut werden, damit sie einer Randgruppe (hier: Eisenbahnfans) gefallen, sondern damit sie Transportwege von Reisenden und Gütern zeitlich verkürzen. Letztlich hat die Eisenbahn doch die industrielle Revolution des 19. Jahrhundert erst ermöglicht.

Bei der ganzen Diskussion fühle ich mich zurückgesetzt in die Zeit der Anfänge der Eisenbahn. Ärzte warnten damals vor der Benutzung, da Geschwindigkeiten von 30 km/h (!) der menschliche Körper nicht überstehen würde. Nunja, inzwischen dürfte diese Warnung auch widerlegt sein. Heute ist es ähnlich. Die Kritiker meinen immer was nicht geht und halten sich selbst für die besseren Bahnexperten. Dabei kommt ein Großteil dieser Kritiker gar nicht mal aus dem Bahnbereich. Ich selbst habe während meiner ehrenamtlichen Tätigkeit bei einer Museumseisenbahn selbst Berührung mit dem Thema Fahrplanerstellung gehabt und weiß wie komplex das Ganze ist. Bei mir ging es damals nur um eine kurze eingleisige Strecke, hier geht es um einen Knotenpunkt an dem sich Züge aus verschiedenen Richtungen treffen.

Vielfach versuchen die Kritiker anhand einzelner Details nachzuweisen, wie falsch das Projekt doch sei. Da geht es um Anschlüsse die um ein bis zwei Minuten verpaßt werden und das für Fahrplanbeispiele die ca. 10 Jahre vor Fertigstellung des Bahnprojektes alles andere als das Nonplusultra sind. Ich erlebe nicht vorhandene Anschlüsse übrigens immer wieder. Fahre ich per IC von Magdeburg nach Leipzig komme ich in Leipzig Hbf zur Minute 14 an. Möchte ich dann weiter in Richtung Nürnberg/München muß ich fast eine Stunde warten, denn der ICE in diese Richtung verläßt Leipzig zur Minute 11. 😉 Ich hab das die paar Male bisher übrigens immer ohne bleibende Schäden überlebt und auch der Weltfrieden war dadurch nie ernsthaft gefährdet. Es wird immer wieder vorkommen, daß bestimmte Anschlüsse nicht passen, ob in Stuttgart oder anderswo.

Wir reden hier von einem Netzwerk das mehrere zehntausend Kilometer Schiene umfaßt und bei dem zwangsläufig immer wieder Störungen auftreten können, egal welche Hintergründe diese Störungen haben. Allerdings schreit jeder auf wenn der Zug mal 10 Minuten Verspätung hat, doch wenn man stattdessen ne halbe Stunde im Stau steht wird das klaglos akzeptiert.

Was gestern eindeutig bewiesen wurde ist, daß ein Durchgangsbahnhof grundsätzlich kürzere Zufahrtszeiten hat, da hier andere Sicherungsvorkehrungen gelten, welche sich auf Bremswege und Einfahgeschwindigkeiten auswirken. Für den Laien sicher ein Detail, für den Praktiker bedeutet die Fahrzeitverkürzung. Ein wichtiger Punkt auch, was die bessere Durchlässigkeit eines Durchgangsbahnhofes im Vergleich zu einem Kopfbahnhof erklärt. Ich kann sogar in einem Durchgangsbahnhof von einem Bahnsteig aus gleichzeitig zwei Züge in zwei verschiedene Richtungen abfahren lassen, sodaß man einen Doppelbahnsteig für bis zu vier Züge gleichzeitig nutzen kann. Das geht im Kopfbahnhof nur eingeschränkt, denn da müssen erst die vorne stehenden Züge abfahren, eh die hinten stehenden Züge abfahren können. Hier sehe ich einen weiteren Vorteil von S21.

Gestern wurden auch die Rolltreppen usw. angeprangert und das man doch in einem Kopfbahnhof keine Überbrückungen bräuchte. Hmm, stimmt von der Seite her gesehen wirklich, doch vergessen die Kritiker dabei auch wieder, daß ein ICE 1 ca. 420 Meter lang ist. Wenn ich nun ganz hinten sitze, muß ich im jetzigen Kopfbahnhof erstmal 420 Meter vorlaufen, dann zum richtigen Gleis und wenn ich Pech habe muß ich wieder 420 Meter laufen, weil sich die Platzreservierung für meinen nächsten Zug wieder ganz am hinteren (dann vorderen) Ende befindet. Im Durchgangsbahnhof hab ich mehrere Überbrückungen, die solche Wege verkürzen und da es nur 8 anstelle 16 Gleise gibt, verkürzen sich auch die Wege zwischen den Bahnsteigen.

Vielfach wird bei dem ganzen Streit auch vergessen, daß die Bahn natürlich auch Geld verdienen will und je zufriedener die Kunden sind, desto eher sind diese auch bereit ihr Geld der Bahn zu geben. Hier verhält es sich wie bei der Telekom. Man hört immer nur die die nörgeln, der Rest der zufrieden ist verhält sich still. Rechnet man diesen Prozentsatz der Nörgler aber mal hoch, stellt man fest, daß der sich irgendwo max. im einstelligen Prozentbereich bewegt. Das sind dann Werte die man sicher noch senken kann, sich aber grundsätzlich nie zu komplett auf null zurückfahren lassen. Wo Menschen arbeiten werden Fehler gemacht, das läßt sich nie gänzlich ausschließen.

Ich denke schon, daß das Bahnkonzept S21 aufgehen wird. Man sollte meiner Meinung nach nicht alles gleich schlechtreden. Wenn das Ding steht und alles planmäßig funktioniert wird man sicher sehen, daß es doch auch bei der Bahn Leute gibt die wissen was sie tun. Wäre das nämlich nicht so, wäre unser jetziger Bahnverkehr schon längst zusammengebrochen.

Ich fahre übrigens regelmäßig mit der Bahn und ja auch ich erlebe Verspätungen. Ich mach da aber keinen großen Aufstand drum, denn ob ich mitm Auto die eine oder andere Strecke wirklich pünktlich geschafft hätte, weiß ich auch nicht und gerade auf langen Strecken gibt es nichts bequemeres als eine Bahnfahrt.

Übrigens finde ich es interessant, daß erst jetzt groß Bambule gemacht wird, während seit 1994 eigentlich von Seiten der Kritiker mehr oder weniger Totenstille zu vernehmen war. Das läßt mich auch ein wenig an der Seriösität der Kritiker zweifeln.

Der eine oder andere wird es gemerkt haben, ich bin eher oro #S21 eingestellt. Sicherlich verschließe ich mich nicht den ganzen kritischen Stimmen, halte aber manche bisher vorgetragenen Argumente für widerlegbar.

Ich denke, der Bahnhof wird weiter gebaut werden und ob eine andere Landesregierung dieses Projekt noch stoppen kann, wage ich zu bezweifeln. Letztlich würde Stuttgart dabei nur verlieren, denn eine komplette Neuplanung würde zu einer Zeitverschiebung führen. Das können auch die Kritiker nicht wirklich wollen. Es bleibt aber auf jeden Fall spannend.

  1. Fridolin

    Was gehört für Dich alles zum sog. Tiefbahnhof. Wir sollten nicht im Allgemeinen von Durchgangsbahnhöfen sprechen und davon, wovon wir ausgehen, dass sie im Stande wären zu leisten.

    Man sollte schon beim konkreten Beispiel bleiben und diesbezüglich wäre für mich die Frage. Endet der Tiefbahnhof bei dir hinter den Ablaufgleisen oder gehört zum Tiefbahnhof mehr?

    Grundsätzlich ist gegen einen Durchgangsbahnhof nichts einzuwenden. Dieser Durchgangsbahnhof wird allerdings in der Erde in ein Tunnelsystem versenkt.

    In Bezug auf die Verlässlichkeiten und die Größe des Netztes der DB AG solltest Du auch noch einmal in Dich gehen und Dich fragen, was denn die Besonderheiten dabei sind und dies auch auf Stuttgart zuschneiden.

    Die meisten nutzen die Bahn als Pendler – steigen in Stuttgart aus. Ihnen nutzen Durchbindungen nichts. Aber nur für Durchbindungen ist ein Durchgangsbahnhof wirklich attraktiv, für Menschen die Aussteigen oder Einsteigen ist ein Kopfbahnhof perfekt.

    Zudem solltest Du Dich fragen, ob der Bahnhof im derzeitigen Konzept mit den Zügen, die er verarbeiten will, überhaupt versorgt werden kann.

    Kleine Tunnel – Große doppelstöckige Waggons im Nahverkehr – zwei dieser doppelstöckigen Waggons dürfen sich im Tunnel nicht begegnen, da dies gegen Sicherheitskriterien verstößt. Bei einer Panne könnten die Menschen nicht aussteigen, weil zu gefährlich etc.

    Sicher könnte man alles so aufrüsten, dass auch ausreichend Züge durchkämen, das würde dann aber eher 18 Mrd. denn 7 Mrd. kosten.

    Wofür? Deshalb die Frage:

    Warum ist Deiner Meinung nach bewiesen, dass der Tiefbahnhof, der jetzt gebaut werden soll kürzere Zulaufzeiten hat? Bitte betrachte den gesamten Neubau samt Tunnel.

    Meine Antwort ist:
    Hier werden Menschen an der Nase herumgeführt. Bewußt wird die Gesamtbetrachtung ausgeblendet und auf einzelne Vorzüge verwiesen, die aber nicht zur Geltung kommen, da diese Vorzüge nicht benötigt werden. Soviele Züge können aufgrund der knappen engen Infrastruktur nicht an den neuen Tiefbahnhof herangeführt werden.

    Zudem werden Milliarden vernichtet, weil die bestehende Infrastruktur des Kopfbahnhofes zerstört wird. Auch das sind Kosten, die man nicht unberücksichtigt lassen sollte.

    Solch einen Wahnsinn macht kein normal denkender rational handelnder Mensch.

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