Zurück in die Kindheit – ein Besuch in Güsten

Einen Teil meines Lebens, nämlich den Großteil meiner Kindergartenzeit, habe ich bei meinen Großeltern in Güsten verbracht. Güsten liegt ca. 45 km von Magdeburg entfernt und 7 km von meiner Heimatstadt Staßfurt entfernt.

Heute habe ich mich mal auf den Weg nach Güsten gemacht und mir angeschaut was sich dort alles verändert hat, was unverändert blieb. Vieles habe ich wiedererkannt, einiges ist aber im Dunkel der Zeit verschwunden.

Güsten war zu DDR-Zeiten ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt. Das BW Güsten mit den Einsatzstellen Aschersleben, Dessau, Köthen und Staßfurt bediente mehr als 10 % sämtlicher Eisenbahnstrecken der Deutschen Reichsbahn und gehörte damit zu den größeren Bahnbetriebswerken. Mein Großvater war dort als Lokführer tätig. In Güsten gab es wohl so gut wie keine Familie, wo nicht mindestens einer bei der Deutschen Reichsbahn arbeitete. Die DR war der größte Arbeitgeber vor Ort.

Dementsprechend besuchte ich den Reichsbahn-Kindergarten, der natürlich auch eine Patenbrigade bei der Reichsbahn hatte. Der Kindergarten war auch das erste was ich heute besuchte. Das Gebäude gibt es noch, doch befindet sich da heute kein Kindergarten sondern Kinder- und Jugendzentrum der SOS-Kinderdörfer drinnen. Also immer noch eine Nutzung für Kinder. Der Sandkasten hinter dem Gebäude ist einem Beachvolleyballfeld gewichen. Da wo das Raketen-Klettergerüst stand ist jetzt ein kleines Fußballfeld mit zwei Toren.

ehemaliger Reichsbahn-Kindergarten

Weiter ging es Richtung Bahnhof. Kurz vor dem Bahnübergang das Auto geparkt, den Rest wollte ich dann zu Fuß erledigen. Der alte Konsum in der Ascherslebener Straße / Ecke Leopoldshaller Straße steht schon ewig leer. Wird sich wohl so schnell auch nichts ändern. Da ging meine Oma immer einkaufen.

ehemaliger Konsum Güsten

Weiter ging es die Leopoldshaller Straße entlang. Hier hatte sich noch nicht viel verändert, selbst das Kopfsteinpflaster ist noch das gleiche wie damals vor über 35 Jahren.

Leopoldshaller Straße

Dann der Blick in die abzweigende Liethestraße. Da wohnte die Schwester meines Opas bis kurz nach der Wende. Auch hier noch keine große Veränderung, vieles wirkt recht trostlos.

Liethestraße

Weiter die Leopoldshaller Straße entlang bis zum Ende und dann über den Bahnübergang rüber. Links war früher der Holzbau Güsten, da hat mein Onkel gearbeitet. Heute ist da eine Stahlbaufirma auf dem Gelände. Rechts hinter dem Bahnübergang ist jetzt ein kleiner Parkplatz. Früher war dort ein Garten. Den bewirtschaftete Frau Jung, eine ältere Frau mit polnischem Akzent. Sie war wohl eine der Flüchtlinge aus Ostpreussen.

Bahnübergang und Parkplatz

Daneben dann die Wohnhäuser, die auch der Reichsbahn gehörten. Dort wohnte ich mit meinen Großeltern. Egal aus welchem Fenster man sah, man sah immer Gleise. Die Häuser waren zwischen zwei Bahnstrecken gelegen. Zur Toilette musste man nach unten. Da waren Plumpsklos. Das Gebäude mit den Plumpsklos gibt es aber nicht mehr. Auch die Stallungen wo meine Großeltern Kaninchen züchteten gibt es längst nicht mehr. Doch die Gärten zwischen den Bahngleisen gibt es noch, die werden auch noch bewirtschaftet. Da hatten meine Großeltern auch zwei Gärten gehabt.

Bahnerwohnhaus Leopoldshaller Straße

An die Wohnung kann ich mich noch erinnern, aber nicht mehr an alles. Auf jeden Fall noch an die ungefähre Zimmeraufteilung, wobei mir die Lage des Badezimmers nicht mehr ganz klar ist. Ist halt doch schon über 30 Jahre her, daß ich dort war.

Dann versuchte ich den dritten Garten zu finden, den meine Großeltern zeitweilig hatten. Den fand ich aber nicht mehr. Ich hatte zwar noch ne Vermutung, konnte da aber nichts mehr finden. Weiter ging es zu Fuß zum Ernst-Thälmann-Platz. Um Güsten hat das Thema Straßenumbenennungen wohl weitestgehend einen Bogen gemacht. Ernst-Thälmann-Platz, Walter-Munke-Straße, Rudolf-Breitscheid-Straße – alles heißt hier noch so wie früher. 🙂

Ernst-Thälmann-Platz

Auf dem Ernst-Thälmann-Platz ist auch heute noch das Ladengeschäft der Bäckerei Bartzsch. Die hatte zwar heute zu, aber ich denke mal ihre Bärentatzen produzieren sie heute bestimmt auch noch. Zu DDR-Zeiten waren die Bäckerläden übrigens montags allesamt geschlossen. Dafür hatten sie aber sonnabends geöffnet.

Bäckerei Bartzsch (Ladengeschäft)

Sonnabends gab es bei Bäcker Bartzsch immer Kümmelbrötchen. Nur einmal pro Woche und die wurden dann immer geholt. Montags kam übrigens am Nachmittag immer meine Uroma zum Kaffee zu meinen Großeltern. Da gab es dann Toastbrot mit selbstgemachtem Pflaumenmus. Jeden Montag.

Bäcker Bartzsch hatte und hat noch einen Hintereingang in der Walter-Munke-Straße. Da sind wir auch häufig rein und dann stand man direkt in der Backstube, blickte in die großen Backöfen wo der Bäckermeister die Brote mit so einem großen hölzernen Schieber rausholte. Da bekam man dann Ware die man wirklich nicht frischer hätte bekommen können.

Bäckerei Bartzsch (Hintereingang)

Am Thälmann-Platz befindet sich auch heute noch die Gaststätte „Schwarzer Bär“. Inzwischen wird dort wohl, den Schildern draußen zufolge Wernesgrüner ausgeschenkt, damals dürfte es wohl aber Bier aus Staßfurt oder Magdeburg gewesen sein.

Schwarzer Bär

Weiter ging es die Walter-Munke-Straße entlang. Ich wollte zum Bürgerhaus, das es auch heute noch gibt. Nur der im angrenzenden Park damals abgestellte alte Doppeltriebwagen war bereits in den 90er Jahren verschrottet worden.

Bürgerpark Güsten

Daneben war das Eiscafé Garz. Das eigentliche Eiscafé gibt es nicht mehr. Da habe ich glaube in den 80ern letztmalig einen Eisbecher gegessen. Erinnern kann ich mich noch an die großen Glasbehälter in denen der Kaffee gekocht wurde. Eine kleine Eisdiele gibt es jetzt im Nachbargebäude, es wird auch noch mit dem Namen Garz geworben, doch betrieben wird die Eisdiele von einem anderen Besitzer.

ehemaliges Eiscafe Garz

Dann ging es zum Kirchplatz. Da wohnte meine Uroma. Aber ich fand beim besten Willen nicht das zugehörige Haus. Da hat dann das Gedächtnis doch nichts mehr zu abgespeichert, was abrufbar war. 🙁 Ich ging dann erst einmal auf den Friedhof. Das Grab meiner Großeltern fand ich trotz größter Suche nicht, dafür das meiner Uroma. Wegen dem Grab meiner Großeltern werde ich aber noch einmal nachforschen. Das interessiert mich sehr.

Alter Friedhof

Danach der letzte Weg, zum Bahnhof. Zuerst noch schnell die Gaststätte „Deutsches Haus“ und das Postamt fotografiert. Die Gaststätte gab es damals schon. Das Postamt wird nicht mehr als solches genutzt, ein Postbriefkasten stand aber noch davor.

Postamt Güsten

Dann die erste große Veränderung. Die Schranke der Kanonenbahn nach Wiesenburg war weg, ebenso die ganze Strecke. Auf einem Teil des Geländes steht irgendein Gebäude was wohl der Bahn gehören dürfte. Auf dem Bahnhofsteil erinnert ein kurzes Gleisstück, ein Wasserkran sowie das Ausfahrsignal an die einstige Bedeutung des Bahnhofs. Die Gleise auf der östlichen Seite des Bahnhofs sind komplett weg, da sind Rasenflächen und Bushaltestellen.

Bahnhof Güsten

Auch dahinter alles total verändert. Das Bahnbetriebswerk und der riesige Güterbahnhof mit seinen unzähligen Gleisen – alles weg! Nur der Wasserturm steht noch da wie eh und je. Da bin ich dann froh, daß meine Großeltern das nicht mehr miterleben müssen. Spätestens daran wäre mein Großvater zerbrochen.

Bahnhof Güsten

Im Bahnhofsgebäude drinnen auch alles dunkel und tot. Ein Fahrkartenautomat versorgt Reisende mit Fahrkarten. Fahrkartenausgabe, Gepäckabfertigung – nichts existiert mehr. Nur die Malereien mit dem Rathaus und der 38 1182 haben die Zeiten gut überlebt. Da wo einst der Zeitungskiosk und die Bockwurstbude waren, ist eine gähnende Leere. Der Weg hinter zur Bahnhofsgaststätte wurde vor längerer Zeit schon zugemauert.

Bahnhof Güsten

Von den Gleisen auf der westlichen Bahnhofsseite ist auch nicht viel übrig geblieben. Hier gab es einst vier Bahnsteiggleise, ein Güterzugdurchgangsgleis sowie diverse Abstellgleise und die Güterrampe. Nun gibt es noch zwei durchgehende Gleise und ein drittes Bahnsteiggleis, was aber hinter dem Bahnsteig endet und so wohl faktisch gar nicht mehr genutzt wird. Damit kann man sagen gibt es eigentlich noch zwei genutzte Bahnsteige anstelle früher einmal sechs Bahnsteige.

Bahnhof Güsten

Was hier einst an Betrieb war kann man sich heute kaum noch vorstellen. Die beiden Bahnübergänge am Bahnhof waren zeitweise mehr geschlossen als offen.

Trostlos sieht es hier jetzt aus. Aussteigen mag man hier nicht wirklich, wenn man hier aus dem Zugfenster schaut. 🙁 Für mich war es dennoch schön mal wieder an die Stätten meiner Kindheit zurückgekehrt zu sein. So manches kam wieder aus den Tiefen des Gehirns hervor, als ich das eine oder andere sah.

Bahnhof Güsten

Ich kann letztlich nur jedem raten mal so einen Ausflug zurück in die Kindheit zu machen. Es lohnt sich mal wieder die Erinnerungen an früher aufzufrischen. Ich mag diese zwei Stunden nicht missen, die ich heute in Güsten verbrachte.

2 Comments

  1. Andreas Helbig

    Hi,

    eine tolle Fotostory, nur eines hast du vergessen. Was ist eigentlich aus dem Hotel „Güsten“ oder Ammerschuber geworden?

    Beste Grüsse Aus Tschechien

    Andreas Helbig

  2. Gina

    Hi,
    um deine Frage zu beantworten, Ammerschuber ist immer noch eine Gaststätte bzw. Kneipe. Aber was meinst du mit Hotel Güsten ?

    Gina 02.Dezember 2014

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